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Wissenschaft erarbeitet Lösungen für Graubünden
Steinschlagversuche spielen beim CERC eine wichtige Rolle. Foto: Martin Heggli, SLF

Das vom Kanton mitinitiierte Forschungszentrum CERC untersucht seit rund einem Jahr Klimawandel, Extremereignisse und Naturgefahren im alpinen Raum. Sein Leiter Peter Bebi gibt Einblick in die Arbeiten des Davoser Zentrums.

Am 1. Januar 2021 hat das Forschungszentrum «Climate Change, Extremes, and Natural Hazards in Alpine Regions Research Center (CERC)» seinen Betrieb aufgenommen. Das Zentrum ging aus der «Innovationsstrategie des Kantons Graubünden» hervor und wurde im Jahr 2020 vom Kanton und der «Eidgenössischen Forschungsanstalt Wald, Schnee und Landschaft (WSL)» gegründet. Die ETH Zürich ist Partner des neuen Zentrums und mit zwei Professuren daran beteiligt.

Das CERC ist am «Institut für Schnee- und Lawinenforschung» der WSL in Davos angesiedelt und wird von Peter Bebi geleitet. Der Spezialist für Gebirgswald ist im Davoser Dischmatal aufgewachsen und leitet seit 2006 die Forschungsgruppe «Gebirgsökosysteme» am SLF.

Peter Bebi, können Sie uns das CERC kurz beschreiben, wofür steht es, was sind seine Ziele?

Peter Bebi: Als neues Forschungszentrum soll das CERC eine Wissens-, Umsetzungs- und Forschungsdrehscheibe für die Themen Klimawandel, Naturgefahren und Extremereignisse sein. Wir möchten die Spitzenforschung von SLF/WSL/ETH mit den Ansprüchen der Umsetzungspartner im Kanton Graubünden verbinden. Konkret bedeutet dies, dass wir die Bedürfnisse des Kantons in den genannten Bereichen abholen und schauen, wie wir als Forschungszentrum dazu beitragen können, praktikable Lösungen zu erarbeiten. Oder anders gesagt: Wie können wir helfen, dass der Kanton Graubünden und andere Gebirgsregionen auch in Zukunft lebenswerte und sichere Lebensräume sind.

Welche Themen werden prioritär angegangen?

Peter Bebi: In Absprache mit verschiedenen Dienststellen des Kantons wurden sechs Forschungsschwerpunkte definiert: Für die Themen «Wetter und Klimaextreme im Alpenraum» sowie «Alpine Massenbewegungen» wird es jeweils eine ETH-Professur geben. Daneben bauen wir auch die Bereiche «Permafrost», «Fernerkundung, Früherkennung und -warnung», «Gebirgsökologie und Schutzwald» sowie «Risikomanagement, Risikokommunikation und Resilienz» aus. Dabei liegt unser Schwerpunkt primär auf den Naturwissenschaften, aber gerade im Bereich der Risikokommunikation werden wir auch verstärkt sozialwissenschaftliche Aspekte bearbeiten.

Findet diese Forschung vor allem in Graubünden statt bzw. inwiefern wird der Kanton vom CERC profitieren?

Peter Bebi: Wir werden generell in Gebirgsregionen arbeiten, in der Schweiz wie auch international. Aber es ist klar, Graubünden soll als wichtiger Geldgeber einen Mehrwert haben, das ist auch für mich als Bündner eine grosse Verpflichtung. Das bedeutet, dass wir in Graubünden vermehrt Modellregionen einrichten und Pilotprojekte durchführen, deren Resultate man dann auch in anderen Gebirgsregionen verwenden kann. Da sich das CERC mitten im Untersuchungsgebiet befindet und hier über gute Kontakte verfügt, haben wir in Graubünden ja auch einen Standortvorteil und können regionales Wissen mit internationaler Spitzenforschung kombinieren.

Gibt es denn schon konkrete Beispiele für solche Bündner Pilotprojekte?

Peter Bebi: Wir haben kürzlich für den ganzen Kanton Graubünden Lawinen-Gefahrenhinweiskarten erstellt, die zurzeit in der Praxis getestet und danach weiter optimiert werden. Auf dieser Basis können zusätzliche Produkte erstellt werden, beispielsweise interaktive Gefahren- und Risikokarten für verschiedene Klimaszenarien. Aber es können auch verschiedene Waldszenarien, zum Beispiel für mehr Waldbrände oder Borkenkäfer oder eine für höhere Waldgrenze gegenüber heute erstellt werden. Solche Produkte lassen sich dann auch auf andere Naturgefahrenprozesse wie Steinschlag oder Murgang anwenden.

Klimawandel ist eines der Hauptthemen des CERC. Wo sehen Sie hier die grössten Herausforderungen für den Kanton Graubünden?

Peter Bebi: Zum einen dürfte das die Verkettung von Extremereignissen und Naturgefahren sein. Wenn es beispielsweise im Sommer sehr trocken ist und danach extrem stark regnet, werden vermehrt Murgänge auftreten. Zum anderen wird die sich ändernde Schneedecke unsere Ökosysteme und Wirtschaft in Zukunft noch stärker beeinflussen. Bei all diesen Herausforderungen gilt es, die Prioritäten richtig zu setzen, um mit den beschränkten Mitteln möglichst viel zu bewirken. Als CERC haben wir die nötigen Werkzeuge, um zu berechnen, was am meisten zur Risikoreduktion beitragen könnte, sowohl im Naturgefahren- wie auch im Waldmanagement. In einem etwas weiteren Sinn sehe ich jedoch noch eine viel grössere Herausforderung: Wie wir das Klimaziel 2050 vom Bund erreichen werden. Da können wir als CERC sicher ebenfalls eine Rolle spielen, wenn auch eine weniger zentrale.

Bei der Bekanntgabe der Gründung des CERC war von 40 neuen Arbeitsplätzen in Davos die Rede. Wo stehen wir hier nach dem ersten Betriebsjahr?

Peter Bebi: Bisher wurden im Rahmen des CERC sechs neue, hochdotierte Stellen geschaffen. Wenn es gut läuft, werden im Sommer 2022 ausserdem die beiden Professuren besetzt. Wir erwarten, dass diese Personen weitere Leute nach Davos mitbringen, zum Beispiel Doktoranden oder wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das Schöne daran ist, dass das CERC auf mindestens zehn Jahre angelegt ist. Wir haben also Zeit und können allmählich wachsen, ohne alles auf den Kopf zu stellen. Mir ist es ausserdem ein Anliegen, dass auch andere forschungsnahe Institutionen in der Region vom CERC profitieren, zum Beispiel Ingenieur- oder Umweltbüros. Ob das CERC, die ETH, ein Ingenieurbüro für sich alleine oder alle zusammen Lösungen finden für die Probleme, mit denen Gebirgsregionen kämpfen, ist letztlich nicht entscheidend. Als CERC müssen wir dabei einfach eine konstruktive Rolle spielen.

Peter Bebi, besten Dank für das Gespräch!