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Landwirtinnen und Landwirte bei der Süsskartoffel-Ernte
Der Umgang mit dem Boden ist ein wichtiger Hebel auf dem Weg zu einer klimaneutralen Landwirtschaft. Foto: Giorgio Hösli

Im Projekt «Klimaneutrale Landwirtschaft Graubünden» testen seit Anfang 2021 rund fünfzig Betriebe, wie sie auf ihrem Hof Lebensmittel klimaneutral produzieren können. Claudio Müller, Mitinitiant des Projekts und Co-Projektleiter, zieht nach gut der Hälfte der Pilotphase Bilanz.

Im Rahmen des Aktionsplans Green Deal (AGD) setzen sich 52 Pilotbetriebe seit 2021 intensiv mit der Reduktion von Treibhausgasen auf ihren Betrieben auseinander. Die Betriebe stammen aus allen Regionen Graubündens. Sie decken mit verschiedenen Produktionsrichtungen (Milch, Fleisch, Ackerprodukte, Käse, Wein) den Jahreskalorienbedarf von 15 500 Personen, was acht Prozent der Bündner Bevölkerung entspricht.

Claudio Müller, zu Beginn der Pilotphase wurden für jeden der 52 Betriebe zunächst die bisherigen Treibhausgasemissionen berechnet und anschliessend Massnahmen ermittelt, mit denen die Emissionen reduziert oder kompensiert werden können. Wie viele Treibhausgase stossen die Betriebe im Durchschnitt aus?

Claudio Müller: Die 52 Betriebe stossen insgesamt rund 15 000 Tonnen Kohlendioxid-Äquivalent (CO2eq) pro Jahr aus. Dies entspricht dem Jahresausstoss an Treibhausgasen (THG) von rund 1100 Personen in der Schweiz.

Welche Tätigkeiten/Betriebstypen belasten das Klima am meisten/wenigsten?

Claudio Müller: Die Produktion von Lebensmitteln tierischen Ursprungs verursacht die meisten THG. Besonders ins Gewicht fallen die Produkte aus der Wiederkäuerhaltung, denn das Methan von Rind, Schaf und Ziegen hat ein rund 30-mal höheres Erwärmungspotenzial als CO2. Pflanzliche Lebensmittel belasten das Klima deutlich weniger. Innerhalb der Betriebstypen zeigt sich aber ebenfalls eine grosse Streuung.

Gemäss Projektfahrplan läuft die Umsetzung der Massnahmen seit Anfang 2022. War es in dieser Zeit schon möglich, dass die Pilotbetriebe ihren Treibhausgasausstoss signifikant reduzieren konnten?

Claudio Müller: Wir werden frühestens nach Abschluss der Pilotphase Ende 2025 mehr wissen, da die Analyse der Wirksamkeit einzelner Massnahmen viel Zeit benötigt. Bereits jetzt ist jedoch klar, dass zahlreiche betriebliche Anpassungen nötig sind, die den THG-Ausstoss sukzessiv verringern werden. Dazu gehört der Umgang mit dem Boden, die Fütterung und Haltung der Tiere, die Lagerung und Aufbereitung der Hofdünger, Untersaaten, Zwischenfrüchte, das Aufbrechen von Monokulturen, die Integration von Gehölzen auf dem Acker, die Produktion von erneuerbarer Energie und vieles mehr.

Welche Erkenntnis aus der Pilotphase war für die teilnehmenden Betriebe am unerwartetsten?

Claudio Müller: Da die Landwirtschaft neben dem schon erwähnten Methan auch das ebenso THG-wirksame Lachgas ausstösst, ist es nicht der Treibstoffverbrauch der Traktoren, der das Treibhausgasbudget der Landwirtschaft stark belastet. Vielmehr sind es natürliche Prozesse, die es zu optimieren gilt. Dazu gehören beispielsweise die Lagerung, Aufbereitung und Ausbringung von Hofdüngern oder die Haltung und Fütterung der Tiere. Dies hat wohl viele Landwirte überrascht.

Das Projekt stiess in der Landwirtschaft zu Beginn auf offene Ohren. Wie ist die Motivation der teilnehmenden Betriebe heute und wie gross ist die Resonanz bei anderen Betrieben?

Claudio Müller: Die teilnehmenden Betriebe sind grossmehrheitlich nach wie vor sehr motiviert, auch wenn sie erkennen, wie herausfordernd ihre Aufgaben sind. Für mich als Co-Projektleiter ist es toll zu sehen, mit welchem Elan und Pioniergeist die Pilotbetriebe bestrebt sind, innovative Lösungen in ihren Betriebsalltag zu integrieren. Motivierend ist auf jeden Fall, dass die teilnehmenden Betriebe viel Anerkennung und Zuspruch von ausserhalb erfahren. Die Öffentlichkeit zollt ihnen grossen Respekt, weil sie die Bewältigung der Klimakrise nicht einfach auf die leichte Schulter nehmen, sondern mit praktischen Massnahmen Verantwortung übernehmen und beitragen wollen, Teil der Lösung zu sein. Zudem schaut man in den umliegenden Kantonen mit Argusaugen nach Graubünden. In verschiedenen Kantonen sind derzeit Projekte im Aufbau begriffen, die sich auf das «Bündner Modell» beziehen.

Ende 2025 endet die Pilotphase, danach soll das Projekt auf den ganzen Kanton ausgeweitet werden. Was bedeutet das genau?

Claudio Müller: Die gemachten Erfahrungen sollen uns ab 2026 helfen, erfolgversprechende Lösungsansätze auf möglichst vielen der rund 2000 Bündner Bauernbetriebe umzusetzen. Wie dieser Transformationsprozess in der Breite vonstattengehen wird, wird derzeit erarbeitet.

Halten Sie nach den bisherigen Erfahrungen das Projektziel einer klimaneutralen Landwirtschaft für erreichbar?

Claudio Müller: Ob wir die Klimaneutralität in der Landwirtschaft dereinst erreichen werden, wissen wir heute noch nicht. Als Vision taugt der Begriff der «Klimaneutralität» aber auf jeden Fall, da bei jeder noch so kleinen Massnahme jeweils hinterfragt wird, welche Folgen sie aufs Klima hat. Ganz auf Null reduzieren werden wir den Methanausstoss der Kühe und das Lachgas aus den Böden nie – das ist auf jeden Fall klar. Die Landwirtschaft hat aber auch die grosse Chance, mit sogenannten Negativemissionen der Atmosphäre CO2 zu entziehen und die biogenen Treibhausgase so zu kompensieren. Denken Sie an den Humusaufbau, wo grosse Mengen an Kohlenstoff im Boden gebunden werden können.

Auch Konsumentinnen und Konsumenten können einen Teil zur klimaneutralen Landwirtschaft beitragen, indem sie klimaneutral produzierte Produkte kaufen. In der Pilotphase werden denn auch entsprechende Projekte gefördert, zum Beispiel ein Regiolieferdienst mit Gemüseabos. Wie werden denn solche Angebote bisher genutzt bzw. wie erfolgsversprechend sind sie?

Claudio Müller: Eines ist klar: Eine klimaneutrale Landwirtschaft wird auf lange Sicht nur funktionieren, wenn die Konsumentinnen und Konsumenten klimaneutral produzierte Produkte auch konsumieren, respektive bereit sind, dafür einen höheren Preis zu bezahlen. Folglich haben wir noch viel Arbeit vor uns, den Konsumentinnen und Konsumenten aufzuzeigen, wie klimaneutrale Landwirtschaft funktioniert und wo die Herausforderungen, Möglichkeiten und Grenzen liegen. Der gesellschaftliche Trend weg von tierischen Produkten hin zu mehr pflanzlicher Ernährung ist auf jeden Fall spürbar und spielt daher den angesprochenen Initiativen sicherlich in die Karten.

Welche generelle Bilanz ziehen Sie zur Halbzeit der Pilotphase und was sind Ihre Highlights bzw. Lowlights?

Claudio Müller: Es ist sehr erfreulich zu sehen, dass wir zusammen mit praktizierenden Landwirtinnen und Landwirten, Fachleuten aus der landwirtschaftlichen Bildung und Beratung, der Verwaltung, den landwirtschaftlichen Branchenorganisationen und der Forschung eine Kultur entwickelt haben, das Problem gemeinsam anzugehen. Ernüchternd ist es einstweilen, dass trotz grossen Anstrengungen die Klimaneutralität nicht bereits nach kurzer Zeit erreicht ist. Damit muss man lernen umzugehen und immer wieder aufs Neue am Thema dranbleiben. Generell empfehle ich möglichst vielen Personen, in einen persönlichen Kontakt mit den Pilotbetrieben zu treten, um mit ihnen über ihre Erfahrungen und ihre Lösungen einer klimaneutralen Landwirtschaft zu sprechen. Denn wie heisst es so schön: Wenn nur einer träumt, bleibt es nur ein Traum, wenn alle gemeinsam träumen, ist es der Anfang der neuen Wirklichkeit.

Claudio Müller, besten Dank für das Gespräch!